Gentechnik: Zerschneiden und Verbinden von DNA

Gentechnik: Zerschneiden und Verbinden von DNA
Gentechnik: Zerschneiden und Verbinden von DNA
 
Gentechnologie ist in erster Linie DNA-Technologie. Die Gene aller Lebewesen bestehen aus DNA. Die gezielte Veränderung von Genen setzt voraus, dass ein Gen beziehungsweise eine DNA gezielt zerlegt und wieder neu zusammengesetzt werden kann. Das gezielte Zerlegen und Zusammenfügen von DNA-Abschnitten unterschiedlichster Herkunft ist die Wichtigste aller gentechnischen Arbeiten. Das präzise Zerschneiden der DNA ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass ein spezielles Gen überhaupt isoliert werden kann.
 
In nahezu allen Organismen sind viele Gene als Gruppen in Chromosomen zusammengefasst. Jedes Chromosom enthält einen mehr oder weniger langen DNA-Faden, der bei höheren Organismen (Eukaryoten) linear, bei Bakterien und Archäbakterien (Archäa) meistens ringförmig gestaltet ist. In jedem Fall enthält das chromosomale DNA-Molekül Hunderte bis Tausende von Genen an einem Stück. Erst als die Molekularbiologen mit den Restriktionsenzymen Werkzeuge entdeckten, mit denen lange DNA-Moleküle wie mit molekularen Scheren ganz gezielt in kleine, handhabbare Stücke zerlegt werden können, begann sich die Gentechnologie zu entwickeln.
 
 
Die Entdeckung der Restriktionsenzyme (Restriktionsendonukleasen) geht auf die Beobachtung des schweizer Wissenschaftlers Werner Arber zurück, dass manche Bakterienstämme nahezu immun sind gegen die Infektion mit Bakterien zerstörenden Viren, den Bakteriophagen. Die Bakterien wehren sich gegen ihre Feinde, indem sie Enzyme bilden, die die eindringende Virus-DNA in kleine Stücke zerschneidet — eine sehr effiziente Art der Virusabwehr! Die amerikanischen Forscher Daniel Nathans und Hamilton O. Smith konnten darüber hinaus zeigen, dass die Abwehrenzyme nicht einfach willkürlich jede DNA unspezifisch zerschneiden, sondern dass diese Enzyme extrem spezifisch bestimmte kurze Basensequenzen eines DNA-Moleküls erkennen und nur dann tatsächlich auch zerschneiden. Die Forscher fanden heraus, dass diese Enzyme auch im Reagenzglas die DNA in ganz spezifischer Weise zerlegen.
 
Der Zeitpunkt der Aufklärung der Funktion der Restriktionsendonuklease kann mit dem Beginn der Gentechnologie gleichgesetzt werden. Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton O. Smith haben für ihre bahnbrechenden Arbeiten den Nobelpreis für Medizin im Jahre 1978 erhalten.
 
Heute sind mehr als tausend verschiedene Restriktionsenzyme bekannt. Fast alle werden aus verschiedenen Bakterienarten isoliert. Entsprechend ihrer enzymatischen Aktivität und ihrer Sequenzspezifität werden sie in drei Gruppen, Typ I, II und III eingeteilt. Besondere Bedeutung für die Gentechnologie haben die Typ-II-Restriktionsenzyme. Die Restriktionsenzyme des Typs II haben die Eigenschaft, dass sie die DNA an der Stelle, an der sie sie erkennen, auch schneiden. Die Erkennungsstelle ist identisch mit der Schnittstelle. Für Typ-I- und Typ-III-Restriktionsenzyme gilt dies nicht, weshalb diese Restriktionsenzyme in der Gentechnologie nur sehr selten eingesetzt werden. Viele der Typ-II-Restriktionsenzyme haben noch eine weitere Eigenschaft, die zumindest in der Anfangsphase der Gentechnologie bei ihrer Verwendung als molekulares Werkzeug eine wichtige Rolle gespielt hat: Sie produzieren beim Schneiden von DNA klebrige Enden (englisch »sticky ends«), die das Zusammenfügen von DNA-Fragmenten erheblich erleichtern.
 
Jede DNA, die mit demselben Restriktionsenzym geschnitten wurde, besitzt das gleiche klebrige Ende. Damit lassen sich DNA-Fragmente völlig unabhängig von ihrer Herkunft ohne Probleme miteinander verbinden. Neben den Restriktionsenzymen, die klebrige Enden produzieren, gibt es eine Reihe von Restriktionsenzymen, die glatte Enden (englisch »blunt ends«) erzeugen.
 
Die Enzyme, die glatte Enden erzeugen, spielen heute in der Gentechnologie eine sehr wichtige Rolle. Das liegt daran, dass zum einen mit den heutigen Verfahren auch DNA-Moleküle mit glatten Enden effizient verbunden werden können, zum anderen glatte Enden sogar einen sehr wichtigen Vorteil gegenüber klebrigen Enden aufweisen: Während bei klebrigen Enden nur Fragmente, die durch das gleiche Restriktionsenzym erzeugt wurden, verbunden werden können, ist es bei glatten Enden völlig unerheblich, mit welchem Restriktionsenzym sie erzeugt worden sind.
 
Es bleibt festzuhalten, dass die Entdeckung und Nutzbarmachung der Restriktionsenzyme als molekulare Werkzeuge für die Gentechnologie den entscheidenden Durchbruch erbracht haben. Mit diesen Werkzeugen ist es möglich, auch sehr große DNA-Moleküle gezielt in kleine, handhabbare Stücke zu zerlegen. Die meisten der mehr als tausend verschiedenen Restriktionsenzyme sind kommerziell verfügbar und damit für gentechnische Arbeiten direkt nutzbar.
 
 Verbinden von DNA
 
Ein wesentliches Ziel der Gentechnik ist die Neukombination von DNA-Stücken unterschiedlicher Herkunft. Wie bei dem Zerlegen von DNA hat auch hier wieder die Natur den Gentechnologen in Form des natürlich vorkommenden Enzyms DNA-Ligase das ideale Werkzeug in die Hand gegeben, um DNA-Fragmente unterschiedlicher Herkunft im Reagenzglas miteinander zu verbinden.
 
Das Ziel der DNA-Verknüpfung (DNA-Ligation) ist die Verbindung zweier unterschiedlicher DNA-Moleküle.
 
Besondere Schwierigkeiten bei der DNA-Ligation ergeben sich daraus, dass prinzipiell jedes DNA-Ende mit jedem anderen Ende verknüpft werden kann. Das bedeutet, dass auch die beiden Enden desselben Moleküls miteinander zu einem ringförmigen Molekül verbunden werden können, was natürlich nicht das erwünschte Produkt ist. Das erwünschte Produkt ist das Hybridmolekül, die neu kombinierte Nukleinsäure.
 
Leider ist die Ringbildung unter den meisten Versuchsbedingungen die überwiegende Reaktion. Um eine höhere Ausbeute an Hybridmolekülen zu erhalten, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, etwa die Dephosphorylierung eines der beiden Reaktionspartner (verhindert zumindest dessen Rezirkularisierung) oder die asymmetrische Restriktionsverdauung (jedes DNA-Molekül erhält zwei unterschiedliche Enden, sodass nur zwei verschiedene Moleküle je ein passendes Ende haben). In vielen Fällen ist es aber unnötig, auf solche komplizierten Verfahren zurückgreifen zu müssen. Entscheidend ist, dass die gewünschten Hybridmoleküle in einer ausreichenden Anzahl entstehen und dass auf diesen Molekülen Gene oder DNA-Sequenzen vorhanden sind, anhand derer man erkennen kann, ob der entstandene, gentechnisch veränderte Organismus die gewünschte Gen-/DNA-Kombination enthält.
 
Prof. Dr. Erwin Schmidt, Mainz
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Gentechnik: Klonierung von Genen
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Gentechnik: Identifizierung und Lokalisierung von Genen
 
 
Berg, Paul / Singer, Maxine: Die Sprache der Gene. Grundlagen der Molekulargenetik. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a.1993.
 
Biotechnologie - Gentechnik. Eine Chance für neue Industrien, herausgegeben von Thomas von Schell und Hans Mohr. Berlin u. a. 1995.
 Brown, Terence A.: Genomes. Oxford 1999.
 Brown, Terence A.: Gentechnologie für Einsteiger. Aus dem Englischen. Heidelberg21996. Nachdruck Heidelberg 1999.
 Brown, Terence A.: Moderne Genetik. Aus dem Englischen. Heidelberg 21999.
 Darling, David C. / Brickell, Paul M.: Nucleinsäure-Blotting. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1996.
 
Gentechnik. Einführung in Prinzipien und Methoden, herausgegeben von Hans Günter Gassen und Klaus Minol. Stuttgart u. a. 41996.
 
Gentechnische Methoden. Eine Sammlung von Arbeitsanleitungen für das molekularbiologische Labor, herausgegeben von Hans Günter Gassen und Gangolf Schrimpf. Heidelberg u. a. 21999.
 Glick, Bernard R. / Pasternak, Jack J.: Molekulare Biotechnologie. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1995.
 Ibelgaufts, Horst: Gentechnologie von A bis Z. Studienausgabe Weinheim u. a. 1990. Nachdruck Weinheim u. a. 1993.
 Nicholl, Desmond S.: Gentechnische Methoden.Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1995.
 Winnacker, Ernst-Ludwig: Gene und Klone. Eine Einführung in die Gentechnologie. Weinheim u. a. 1984. Veränderter Nachdruck Weinheim u. a. 1990.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Gentechnik: Identifizierung und Lokalisierung von Genen —   Für die Gentechnologie ist es von entscheidender Bedeutung, Gene zu erkennen und sie zu lokalisieren, also ihre Lage auf einem bestimmten DNA oder Chromosomen Abschnitt festzustellen. Dies ist keine triviale Aufgabe, wie sich leicht an den… …   Universal-Lexikon

  • Gentechnik: Klonierung von Genen —   Bei der klassischen Genklonierung werden zwei DNA Moleküle unterschiedlicher Herkunft miteinander verbunden und anschließend in eine Bakterienzelle überführt. Das eine der beiden Moleküle wird als Vektor DNA bezeichnet (lateinisch »vector«:… …   Universal-Lexikon

  • Gentechnik — Gentechnologie * * * Gen|tech|nik 〈f. 20〉 = Gentechnologie * * * Gen|tech|nik, Gen|tech|no|lo|gie: ein Arbeitsgebiet von Molekularbiologie u. Biotechnologie, dessen Hauptziel es ist, einen vermehrungsfähigen pflanzlichen, mikrobiellen oder… …   Universal-Lexikon

  • Nukleinsäuren — Nukleinsäuren,   Nucleinsäuren, Kernsäuren, in den Zellen aller Lebewesen und in Viren vorkommende, unverzweigte Makromoleküle, die unter den Biopolymeren eine Schlüsselstellung einnehmen. Nukleinsäuren sind Träger der genetischen Information und …   Universal-Lexikon

  • Genetik — Vererbungslehre * * * Ge|ne|tik 〈f. 20; unz.〉 1. 〈i. w. S.〉 Wissenschaft von der Entstehung der Organismen 2. 〈i. e. S.〉 Lehre von der Vererbung; Sy Vererbungslehre, 〈veraltet〉 Erbbiologie [→ Genesis] * * * Ge|ne|tik [↑ Gen], die; ; Syn.:… …   Universal-Lexikon

  • Gene — Ge|ne 〈Pl. von〉 Gen Gene 〈[ʒɛ:n] f.; ; unz.; geh.〉 (selbst auferlegter) Zwang, Unbehaglichkeit, Schüchternheit, Scham [<frz. gêne „Marter, Qual, Zwang“] * * * I Gene   (Erbanlagen, Erbfaktoren), Einheiten der …   Universal-Lexikon

  • Restriktionsenzyme — Restriktions|enzyme,   Restriktions|endonukleasen, Restriktasen, Gruppe von bakteriellen Endonukleasen, die doppelsträngige DNA nur spalten, wenn diese bestimmte Erkennungssequenzen aufweist. Restriktionsenzyme sind Teil eines Abwehrsystems in… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”